
Vivien Staff im Interview
Es ist Anfang April. An einem Sonntag, der den Namen wahrhaftig verdient hat, klingelt kurz nach 14 Uhr in einer Leipziger Wohnung ein Telefon. Kaum habe ich mich vorgestellt, meldet sich am anderen Ende im Hintergrund ein aufgeregter Hund, der auch „Hallo“ sagen möchte. Über eine Stunde unterhalte ich mich mit Vivien Staff über Gestaltung, Punk, Gemeinschaft und zum Schluss sogar über Suchmaschinenoptimierung. Der Punkt hat es allerdings nicht ins offizielle Interview geschafft.
Du bist Grafikdesignerin, Illustratorin und Fotografin. Wolltest du das alles schon immer werden?
Als Kind wollte ich Astronautin werden. Weil aber heute eher meine „Universumsangst“ überwiegt – das große Ungewisse löst bei mir eher Unbehagen als Neugier aus – musste ich mich beruflich nochmal neu orientieren. Ich hab gezeichnet, solang ich mich erinnern kann und schon früh fotografiert. Da lag der Weg in diese Richtung recht nahe. Wichtig war mir aber von Anfang an, mich in mehreren Gestaltungs-Disziplinen auszuleben. Ich habe ein Berufskolleg für Grafikdesign besucht. Da habe ich zwei Dinge über mich gelernt: Erstens, dass die Richtung für mich stimmt und zweitens, dass ich später unbedingt selbstständig arbeiten möchte. Aufgrund meines AD(H)S und meiner gesunden Distanz zu Autoritäten teile ich meine Arbeit und meine Zeit lieber eigenständig ein. Das hat sich dann auch während meines Studiums bestätigt und jetzt bin ich sehr zufrieden mit meiner bisherigen Laufbahn als selbstständige Designerin.
Deine Bachelorarbeit „LEERSTAND ≠ STILLSTAND” liefert ein Konzept zur Umnutzung von temporärem Leerstand in Wohn- und Gewerberäumen in Wohnraum und wurde 2019 mehrfach prämiert (Bronzener Nagel beim ADC, Anfachen Award und Top30 bei „Mut zur Wut”). Wie bist du zu der Arbeit gekommen und hast du sie seitdem weiter entwickelt?
Der ausschlaggebende Punkt für die Arbeit kam von ganz allein in mein Leben. Unser Vermieter in Stuttgart hat uns damals wegen „Eigenbedarf” gefkündigt. Die Argumentation stimmte natürlich nicht. Er wollte die Wohnung nur teurer vermieten. Die Stadt hat ein sehr großes Problem mit Immobilienspekulation und wir als Wohngemeinschaft hatten es ganz plötzlich auch. Gleichzeitig habe ich beobachtet, wie viele Büroflächen in der Innenstadt leer standen. Ich habe mich gefragt, ob es eine Möglichkeit gibt, diese für Menschen nutzbar zu machen. Nach der Veröffentlichung habe ich viel Aufmerksamkeit gekriegt. Unter anderem hat mich das „Zentrum für politische Schönheit” eingeladen, meine Arbeit zu präsentieren. Ich bin schon während meiner Bachelorarbeit dem Verein „Adapter” aus Stuttgart beigetreten und habe im Zuge dessen auch das Layout für das Magazin „Urbant” erstellt. Mit dem Verein habe ich 2020 für einen Monat in einem verlassenen Gebäudekomplex in Brandenburg gewohnt. Ich hoffe, dass die Arbeit auch weiterhin Menschen dazu bewegt, in dem Bereich aktiv zu werden. Ich persönlich bin nach dem Bachelor von Stuttgart nach Münster gezogen. Dort waren dann andere Themen für mich präsenter.
Welche Themen?
Ich habe mit anderen lieben Menschen der Münster School of Design das queerfeministische Kollektiv „Salon Chichi” gegründet. Gemeinsam haben wir unter dem Titel „Design Talks against Patriarchy” mehrere Veranstaltungen an der MSD organisiert. Dort wurden dann Projekte mit feministischem Fokus vorgestellt und FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) und weibliche Gründerinnen eingeladen. Diese Veranstaltungen waren sehr gut von den Studierenden besucht und wir hatten immer positive Rückmeldungen. Uns ging es darum, aufzuzeigen, dass Design auch als ein Tool für ethische und gesellschaftsrelevante Themen sein kann. Somit entstand eine Zusammenarbeit zwischen Adapter e.V. und Salon Chichi: die Installation „Deconstructing Male Gaze“ am Stadtpalais in Stuttgart. Dort ging es vor allem um die überwiegend männlichen Perspektiven auf den öffentlichen Raum.

Levi’s Store Opening Stuttgart; Store-Front Gestaltung von Vivien Staff in Kooperation mit Yannik Stechmaier-Emden, 2020
Auf der Suche nach Skillsharing und neuen Projekten bist du vor einem knappen Jahr von Münster nach Leipzig gezogen. Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?
Ja. Ich fühle mich sehr gut angekommen in Leipzig. In meinem ersten Jahr hier habe ich viele liebe Menschen kennengelernt, mit Freund*innen eine Ladenfläche angemietet, renoviert und ein Designstudio eröffnet. Und für mich herausgefunden, dass mir die Arbeit im Gemeinschaftsgarten sehr gut dabei hilft, den Kopf auszuschalten. Ich lerne in einer offenen Keramikwerkstatt das Töpfern immer mehr lieben. Außerdem freue ich mich über den vielseitigen Raum für Subkultur, Soli-Veranstaltungen, KüFas (Küche für alle) oder kleinere Comic- und Designfestivals in der Stadt. Was Leipzig kann, was Münster nicht kann: Punk.
„Design ist kein Ehrenamt“ – Mit diesem und weiteren prägnanten Sätzen machst Du mit anderen Designer*innen auf Missstände in der Branche aufmerksam. Ihr strebt die Gründung einer Designgewerkschaft an. Wie kam es dazu und wie weit ist der Prozess bisher gediehen?
Ich hab vor ein paar Jahren einen Text auf Instagram geteilt, der von der Selbst- und Fremd-Ausbeutung in der Designbranche gehandelt hat und meiner Wut über die Zustände freien Lauf gelassen. Darauf hin habe ich unerwartet viel Zuspruch bekommen. Das hat mir Mut gemacht, aus der Empörung raus in die Aktion zu kommen. Letztes Jahr habe ich mich mit anderen Designschaffenden zusammengefunden, um uns erst einmal über gemeinsame und individuelle Probleme auszutauschen. Wir werden jetzt im nächsten Schritt mit der Gewerkschaft Ver.di unsere Forderungen aufstellen und hoffen, dass irgendwann solche Sachen wie unbezahlte Praktika und Überstunden-Pitches der Vergangenheit angehören. Ich als selbstständige Gestalterin wünsche mir außerdem geregelte Stundensätze, damit ich nicht ständig den Wert meiner Arbeit rechtfertigen muss.
In deinen Arbeiten stehen häufig Stühle oder Menschen, die auf ihnen sitzen, im Mittelpunkt. Das gilt sowohl für deine Illustrationen als auch für deine Fotografie. Warum immer Stühle?
Ich würde sagen, dass mein Interesse an Stühlen eher intuitiv ist. Stühle sind einfach ausgesprochen vielseitige und interessante Objekte. Ich mag es, zu beobachten, welche besonderen Schatten sie je nach Form und Lichteinstrahlung werfen. Außerdem ergeben sich nie enden wollende Perspektiven, wenn man einen Stuhl ganz genau betrachtet.
Was hängt bei dir zuhause an der Wand?
Ein Kunstdruck von Atelier Bingo (Maxime Prou und Adèle Favreau), meine Lieblingsmalerei von Laura Ginis (rosa-rote Farbgebung, runder Tisch, Stühle, ein Sonnenschirm), eine Illustration von Lucia Lenders und ein Poster von Studio Bungalow. Und seit neuestem ein Happy Meal.
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