Liad Shadmi im Interview
Es ist Ende Oktober, als ich mit Liad Shadmi telefoniere. Seine Anfrage bei duddznt liegt bereits zwei Monate zurück, weil wir aber beide einen vollen Terminkalender haben, teilen wir uns schon eine Weile die Vorfreude auf ein längeres Gespräch. Danach geht er essen und ich versinke aufgrund unseres Telefonates den restlichen Abend in verschiedenen Rabbitholes.
Du bist in Israel aufgewachsen, hast am Shenkar College of Engineering & Design studiert und parallel in mehreren Design Studios in Israel und Deutschland gearbeitet. Wie bist du nach Hamburg gekommen?
Ich habe im dritten Studienjahr an einem Studierendenaustausch teilgenommen und für eine Weile in Berlin gelebt. Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits selbstständig gearbeitet und in Deutschland endlich Zeit gefunden, meinen Behance-Account mit meinen abgeschlossenen Projekten zu befüllen. Unter anderem hatte ich gerade eine Mehl-Verpackung gestaltet, welche auf Behance gefeatured wurde. Für ein paar Tage war das Projekt auf der Startseite und ich habe umgehend eine Anfrage von einem Hamburger Werbeagentur bekommen, ob ich nicht Lust hätte, bei ihnen zu arbeiten. Ich hatte für die Zeit meines Auslandssemesters den Standort in meinem Behance-Profil auf „Berlin“ gesetzt. Das kam den Hamburgern nicht so weit weg vor, wie es Tel Aviv sicher gewesen wäre. Wir sind in Kontakt geblieben und ich habe mich nach Abschluss meines Bachelors dafür entschieden, für den Job von Israel nach Hamburg zu ziehen – Eine Entscheidung, über die ich sehr glücklich bin. Berlin ist super zum Feiern, aber Hamburg ist die schönere Stadt zum Leben.
Diese Mehlverpackung aus dem Projekt „Austerity Packaging“ im Rahmen seines Packaging Design Course am Shenkar College Od Engeneering, Design and Art 2018 verhalf Liad Shadmi zu seinem Job in Hamburg. Foto: Keith Glassman
Seit zehn Jahren arbeitest du selbstständig als Grafik Designer und Art Director. Was ist dein Schwerpunkt und in welchen Bereich möchtest du unbedingt noch rein schauen?
Ich gestalte liebend gern mit typografischem Schwerpunkt. Irgendjemand hat mal entschieden, wie ein „a“ aussieht – das ist doch eine faszinierende Vorstellung. Generell die Idee, dass es Symbole für bestimmte Laute gibt, für Vokale und Konsonanten, und dass das unser Grundstein für visuelle Kommunikation ist. Wenn man so startet, ist der Weg nicht weit zu einer Gestaltung, die sehr stark auf konzeptionellen Anreizen basiert. Ich bin immer auf der Suche nach dem Kern einer Idee, um daraus die Formensprache zu entwickeln. Für die Zukunft würde ich gern mehr in Richtung Motion Graphics und Generative Gestaltung gehen – und natürlich selbst Schriften entwickeln. Bisher mache ich insbesondere in diesem Bereich viel „für die Schublade.”
Woher kommt deine Leidenschaft für Schrift?
Ich muss gestehen, dass mich das Thema Typografie am Anfang meines Studiums gar nicht so sehr interessiert hat. Ich habe eigentlich aus meiner Kindheit einen Comic- und Zeichen-Background, was auch ausschlaggebend für die Wahl meines Studiums war. Schon während der Schulzeit hatte ich immer Skizzenbücher dabei, die ich fleißig befüllt habe. Irgendwann habe ich begonnen, Songtexte zu skizzieren, also auch Buchstaben. Und eines Tages hat es „Klick” gemacht und ich habe angefangen, mich eher mit Schrift zu beschäftigen. Ich habe allerdings auch schon sehr früh neben dem hebräischen Alphabet das lateinische gelernt. Meine Mutter ist Englisch-Lehrerin und ich bin sozusagen „bitypografisch” aufgewachsen, woran auch Disney-Filme einen großen Anteil hatten.
Gerade kommst du aus dem Odenwald von deiner Dagesh-Residenz. Wie hast du die Zeit genutzt?
Ich bewerbe mich regelmäßig auf Kunstresidenzen und habe mich wahnsinnig gefreut, als ich die Zusage für dieses Projekt bekommen habe. Ich bin ja per se kein bildender Künstler, sondern Grafiker. Weil das bei Dagesh allerdings nicht ganz so eng gesehen wird, hatte ich die Möglichkeit, für zwei Wochen nach Buchen im Odenwald zu fahren. Dort beherbergt die Bücherei des Judentums über 10.000 jüdische Titel. Der Gründer des Projekts, Hermann Schmerbeck, hatte in den 60er Jahren Martin Buber kennengelernt und aufgrund dieser Begegnung die Idee, jüdische Bücher zu sammeln. Viele der Werke in seiner Sammlung haben trotz Pogromen und Bücherverbrennungen die Zeit des Nationalsozialismus überstanden und sind somit auch eine Art „Holocaust-Überlebende”. Ich hatte die Hoffnung, dort vielleicht alte Schriftmuster zu finden, die bislang nicht digitalisiert wurden. Stattdessen sind mir insbesondere Bücher zur Geschichte jüdischer Grabsteine ins Auge gefallen, die bis zurück ins 11. Jahrhundert dokumentiert waren. Da gab es typografisch viel zu entdecken. Auch die ehemals prosperierende deutschsprachige jüdische Verlagslandschaft hat meine Neugier geweckt. In vielen der Bücher sind spannende Logos von Verlagshäusern zu finden. Zuguterletzt sind mir noch eine Menge Schilder jüdischer Läden und Geschäfte mit interessanten Schriftzügen aufgefallen. Das hat mir besonders gut gefallen, weil ich mich bereits in meiner Bachelorarbeit mit Signpainting auseinandergesetzt habe. Ich habe die zwei Wochen genutzt, um mir einen Überblick zu verschaffen und werde mit etwas Abstand schauen, zu welchem Thema ich in Zukunft ein tiefer gehendes Projekt entwickeln kann.
Auszug aus „The Alphabetical Room”, Liad Shadmi, 2021. Foto: Michael Kohls
Apropos Tiefgang: Du verlässt in deinen Arbeiten regelmäßig die Zweidimensionalität, gestaltest beispielsweise Produktverpackungen und hast mit deinem Projekt „The Alphabetical Room“ Typografie ins Räumliche gebracht. Was treibt dich dabei an?
„The Alphabetical Room” hat seinen Ursprung in einem Studienprojekt in Anlehnung an den Schweizer Gestalter Josef Müller-Brockmann. Sein Buch „Rastersysteme für Grafikdesigner” hatte bei uns an der Universität von Anfang an einen sehr hohen Stellenwert. Als ich seine Ausführungen zur Anwendung eines Rastersystems im Raum gelesen habe, habe ich sie als wichtig abgespeichert und mir vorgenommen, mir alles zu merken. Später habe ich dann angefangen, selbst damit zu experimentieren. Grafikdesign ist ja eine Disziplin, die häufig in der Zweidimensionalität bleibt. Das wollte ich aufbrechen.
Du hast Erfahrungen mit Siebdruck und druckst auch selbst deine eigenen Motive wie deine „Trends have Ends“ Serie. Was magst du an dem Verfahren?
Ich interessiere mich immer für Haptisches – für etwas, das man fühlen, im Licht bewegen und dessen Bewegung man auch hören kann. Die Vielfalt der sinnlichen Wahrnehmung von physischen Produkten ist für mich total fesselnd. Siebdruck hat mich immer begleitet, weil ich meiner Gestaltung eine solche physische Form geben wollte. Ich habe bereits in Israel an der Universität gedruckt; in Berlin konnte ich eine Werkstatt mitbenutzen und jetzt in Hamburg habe ich auch unterschiedliche Orte dafür. Ich mag besonders die Vorstellung, dass meine Arbeiten dadurch vielleicht etwas länger präsent sind als wenn sie nur auf einem Display angezeigt werden. Und man hinterlässt auf diese Weise eines Tages etwas auf der Welt, das finde ich einen schönen Gedanken.
Was hängt bei dir zuhause an der Wand?
Mittlerweile ist es bei mir zuhause schon eine kleine Sammlung geworden. Darin sind viele Arbeiten von Kommiliton*innen aus der Studienzeit, Prints, die Magazinen beigelegt wurden, viele Postkarten und alles wächst beständig weiter. Mittlerweile tausche ich auch viel mit Bekannten, weil das nochmal eine persönlichere Ebene mit rein bringt. Das hilft vielleicht am Ende auch gegen das Vergessenwerden.
Mehr über Liad Shadmi erfährst du auf seiner Website und bei Instagram.