
Marie Schwab im Interview
Es verspricht, ein warmer Tag zu werden, als ich Marie Schwab am Telefon erreiche. Sie ist im Urlaub am Bodensee und eigentlich will ich sie deshalb nicht zu lang in Beschlag nehmen. Am Ende reden wir anderthalb Stunden über ihre Arbeit als Illustratorin, Musikvideos und die Grenzen von Arbeit und Hobby.
Wie sieht eine typische Arbeitswoche bei dir aus?
Zur Zeit arbeite ich drei Tage die Woche in einem Start-Up mit dem Schwerpunkt „mentale Gesundheit“, in dem ich Animationen und Illustrationen für die Kommunikation erstelle. Außerdem bin ich noch frei als Art Directorin bei der deutschen Ausgabe des JACOBIN Magazin tätig, das vier Mal im Jahr erscheint. In den sechs Wochen vor dem Drucktermin gestalten wir im Team die komplette Ausgabe. Diese kleinen Sprints sind sehr intensiv, bereiten mir aber auch immer große Freude. Dazu kommen dann noch freie Illustrations-Projekte. Gerade arbeite ich zum Beispiel an einem Frame-by-Frame Animationsvideo. Was dann an Zeit übrig bleibt, stecke ich aktuell in meine Band Jesus wore double denim. Dieser Anteil ist im Moment auch recht umfangreich, weil wir in absehbarer Zeit unsere erste EP veröffentlichen möchten. Eine typische Arbeitswoche ist also etwas schwierig zu fassen – die Organisation aller Projekte regeln die jeweiligen Deadlines für mich.
Du hast nicht nur an der Universität der Künste Illustration studiert, sondern auch Animation am California College of Arts in San Francisco. Welche Rolle spielen Bewegtbilder in deinen aktuellen Arbeiten?
Bewegte Bilder haben mich schon immer begeistert. Während meines Studiums in Berlin habe ich im Rahmen des Erasmus-Programms die Möglichkeit bekommen, für ein Semester nach San Francisco zu gehen, um Animation zu studieren. Ich habe in der Zeit unzählige Storyboards, Animatics und Frame-by-Frame Animationen erstellt, was mir in meiner jetzigen Arbeit sehr hilft. Für die Zukunft steht definitiv das Thema Musikvideo noch auf meiner Liste. Auf diesem Feld hat man so unglaublich vielfältige Möglichkeiten mit unterschiedlichen Mitteln, das reizt mich sehr. Abseits vom Bewegtbild war die Zeit am CCA aber auch deshalb sehr lehrreich, weil mich die Storyboards nachhaltig an das Thema Comic herangeführt haben. Comics sind ja wenn man so möchte sehr detailliert ausformulierte Storyboards und meiner Meinung nach die goldene Mitte zwischen Animation und Illustration.

Schuldenbremse, Marie Schwab, 2023
Wo fängt man an, wenn man komplexe gesellschaftlich relevante oder politische Inhalte in einer Illustration verpacken möchte?
Das kommt natürlich in erster Linie auf den Inhalt an. Manche Texte, zu denen ich illustriere, sind bereits sehr bildlich beschrieben, dann ist der Weg weniger weit. Erfahrungsgemäß kommen mir schon beim Lesen entsprechende Bilder und Ideen in den Kopf. Es ist wichtig, dass meine Illustrationen auch ohne den kompletten Kontext wie ein Teaser wirken, neugierig machen und Aufmerksamkeit schaffen. Bei meiner Arbeit für JACOBIN habe ich Freiheiten in der Herangehensweise. Das macht es abwechslungsreich und spannend. Wir teilen uns die Texte für die nächste Ausgabe immer gemeinsam im Designteam auf, sodass ich auch sagen kann, auf welche Artikel ich Lust habe. Klar ist aber auch, dass der Ton zum Inhalt passen muss. In der Regel löse ich das gern mit einer Prise Humor und kräftigeren Farben. Neulich habe ich zum Beispiel Christian Lindner für einen Artikel zum Thema Schuldenbremse auf ein flammendes Sparschwein gesetzt. Sobald es aber um Themen wie Krieg oder Flucht geht, muss man auch sensibel damit umgehen und in der Darstellung der Inhalte eher sachlich bleiben. Dann arbeite ich eher minimalistischer, mit gedeckten Farben und dem nötigen Respekt.
Dein Buch „Vage Tage“ (Jaja Verlag), spielt in einer unklaren Zwischenzeit, die viele Heranwachsende kennen. Was hilft dir dabei, mit turbulenten Lebensumständen umzugehen?
Da muss ich mal an einer anderen Stelle anfangen. Das Buch ist ganz bewusst nicht autobiografisch, sondern fiktional. Es bedient sich aber bestimmter Analogien, was untrennbar mit der Entstehungsgeschichte zusammenhängt. Ich habe angefangen daran zu arbeiten, weil ich ein Ventil brauchte, als mich der Bruch einer guten Freundschaft in genau so eine Lage, so eine Zwischenzeit, versetzt hat. Die Arbeit an diesem Buch hat mir damals sehr geholfen, diesen Einschnitt zu verarbeiten. Wenn man aber nicht direkt ein Buch rausbringen möchte, hilft auch Sport. Das gibt mir Struktur und hilft mir wenn ich besonders hibbelig bin. Ich mache dann HIIT an der Spree, gehe ins Fitnessstudio oder schwimme. Und dann habe ich natürlich noch die Musik. Wenn ich anfange zu singen, wechsele ich automatisch in einen anderen Modus. Das kann ich auch guten Gewissens als Tipp weitergeben, weil es wissenschaftlich belegt ist, dass Singen Menschen glücklich macht. Für mich persönlich ist es ein Garant, dass es mir automatisch besser geht.

Cover zum Buch „Vage Tage“, Marie Schwab, 2022
Findet man deinen Späti aus dem duddznt Print so in Berlin oder handelt es sich um einen Fantasie-Ort?
Der Späti existiert in meiner Fantasie, aber man könnte ihn bestimmt auch gut genau so in Berlin finden. Ich habe aus mehreren Gründen einen Soft Spot für Spätis: Es sind wichtige Orte, um die Nachbarschaft zusammen zu bringen, sie erzählen immer eine individuelle Geschichte und öffnen eine Tür in eine kleine eigene Welt. Zu dem finde ich die geschichtliche Tragweite interessant. Als die Supermärkte noch nicht so lange auf hatten wie heute, boten Spätis Menschen, die in Schichten arbeiten, die einzige Möglichkeit, nach Feierabend noch das Nötigste einzukaufen. Deshalb finde ich Spätis auch kulturell spannend.
Wie sieht dein idealer Späti-Einkauf aus?
Das ist einfach: Ich lade viele Freunde ein und gebe ihnen etwas aus, wir sitzen lange vor dem Laden und haben eine gute Zeit; und es ist Sommer. Berlin ist im Winter richtig hart, aber im Sommer die schönste Stadt der Welt.
Was hängt bei dir zuhause an der Wand?
Viel! Ich habe eine gewisse Sammel-Leidenschaft für Poster und Plakate entwickelt. Dazwischen hängen eigene Arbeiten, unter anderem Siebdrucke aus meiner Studienzeit oder Risoprints von Freunden und Bekannten. Durch meine Freundschaften zu anderen Illustrator*innen habe ich das Glück, dass in regelmäßigen Abständen neue Arbeiten dazu kommen.
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